In einer repräsentativen BITKOM Studie wird das große Bevölkerungsinteresse für Smartwatches bestätigt. Wir haben uns die Umfrage angeschaut und äußern einige Gedanken dazu.
Aussagekräftige Studien zum Thema Smartwatch sind äußerst schwer zu finden. Zumeist werden verschiedene Kategorien wild mit einander gemischt. Da wird der Fitness-Tracker-User mit dem einer vollwertigen android wear Smartwatch in einen Sack gesteckt und oben drauf wird die High-End-Outdoor-Smartwatch gekippt.
Meistens stammen Studien zum Thema Wearables auch auch den USA oder aus dem asiatischen Bereich wie z.B. China oder Südkorea. Dass die in diesen Studien eruierten Werte nicht eins zu eins in den europäischen Markt übertragbar sind, dürfte ebenfalls recht klar sein.
Erfreulich ist er daher, dass der größte Branchenverband der deutschen Digitalwirtschaft, BITKOM, nun eine repräsentative Studie zum Interesse und der Nutzung an/von Smartwatches in Deutschland herausgebracht hat. Hierzu wurden 1007 Bundesbürger ab 14 Jahren befragt. Der Vollständigkeit halber muss die Definition der BITKOM einer Smartwatch ebenfalls genannt werden – nicht dass nachher noch einer kommt und behauptet, man hätte die Umfrage in irgendeine Richtung manipuliert, indem man einfach die falschen Begriffe zu richtigen Zeit benutzt. Also, die BITKOM Studie basiert auf der Definition, dass eine Smartwatch ein digitales Gerät ist, das direkt am Körper getragen wird und in die Kategorie „Wearable“ fällt. Gekoppelt mit dem Smartphone können Smartwatches unter anderem E-Mails, Messenger-Nachrichten oder SMS anzeigen, Gesundheitsdaten messen oder zur Steuerung des Smartphones genutzt werden.
Die Ergebnisse der BITKOM Studie zum Thema Smartwatch
Das wichtigste vorweg: Fast jeder zweite Deutsche hat Interesse an einer Smartwatch (46 %). Das geht als Kernergebnis aus der Studie hervor. Die 46 Prozent setzen sich aus 18 Prozent der Befragten zusammen, die auf jeden Fall zukünftig eine Smartwatch haben wollen und 28 Prozent, die zumindest über eine Anschaffung nachdenken oder sich eine Smartwatch am Handgelenk vorstellen können.
Was die Einsatzgebiete einer Smartwatch angeht, so möchten 61 Prozent der Smartwatch-Interessierten die intelligente Uhr zum Fitness- und Activity-Tracking nutzen. Wichtig ist den Usern dabei, dass Informationen von Fitness-Apps auf dem Handgelenk angezeigt werden.
56 Prozent der Befragten möchten ihre Smartwatch außerdem dazu nutzen, Notifications zu bekommen. Darunter fällt z.B. die Benachrichtigung über SMS, Anrufe, WhatsAPP Nachrichten oder Mails. Die Möglichkeit, Gesundheitsdaten wie Puls oder Blutdruck zu messen und bei gefährlichen Werten Alarm zu schlagen, schätzen zwei von fünf Befragten (39 Prozent) als besonders interessant ein. Rund ein Viertel (24 Prozent) kann sich vorstellen, das Smartphone mit der Uhr zu steuern, 23 Prozent der Befragten möchte die Smartwatch zur Navigation nutzen.
Wenn sich also 46 Prozent für Smartwatches interessieren, gibt es logischerweise 54 Prozent, die sich für die intelligenten Uhren überhaupt nicht interessieren. Aus der BITKOM Studie geht ebenfalls hervor, aus welchen Gründen sich ca. die Hälfte der Bevölkerung nicht für Smartwatches begeistern kann.
34 Prozent fürchten, dass ihre Daten in falsche Hände geraten oder missbraucht werden könnten. Jeder fünfte Befragte gibt an, dass die Bedienung der Uhren zu kompliziert sei (22 Prozent). Weitere 28 Prozent möchten schlichtweg ihre geliebte Armbanduhr nicht gegen ein neues, smartes Modell tauschen. Gut ein Viertel (24 Prozent) findet die Geräte zu teuer, 18 Prozent der Befragten ist nicht klar, welchen Nutzen die intelligenten Uhren haben.
Ein weiteres, sehr wichtiges Kriterium für den Kauf einer Smartwatch ist auch die Optik. Hier haben Hersteller bereits nachgebessert, aktuelle Modelle nähern sich immer mehr traditionellen Armbanduhren an. Das scheint aber in einem Teil der Bevölkerung noch nicht angekommen zu sein. 17 Prozent der Befragten gefallen die bislang erhältlichen Designs nicht.
Da die BITKOM Studie repräsentativ ist, wurden natürlich auch Menschen befragt, die sich für Technik allgemein und für Gadgets wie Smartwatches im Speziellen überhaupt nicht interessieren oder keinen Bezug dazu haben. Ca. ein Drittel der Befragten (32 Prozent) gibt daher an, sich noch nicht mit dem Thema Smartwatch beschäftigt zu haben.
Unsere Meinung zur BITKOM Smartwatch Studie
„Traue nie einer Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“, ist ein Spruch, den man häufig in Bezug auf Studien von Branchenverbänden hört. Natürlich können auch wir nicht hinter die Kulissen schauen und die exakten Erhebungsmethoden prüfen, dennoch wirkt die BITKOM Studie auf den ersten Blick solide und glaubhaft. Der Branchenverband ist darüber hinaus nicht dafür bekannt, Lobbyismus für einzelne technische Produkte zur treiben. Zumal das auch Quatsch wäre, denn wenn es keinen Markt für Smartwatches in Deutschland gäbe, dann wäre es für Hersteller sinnvoll, das frühzeitig zu wissen um ggf. in Alternativtechnologien investieren zu können.
Dass es aber definitiv einen Markt für Smartwatches in Deutschland gibt, hat die BITKOM Studie eindeutig gezeigt – das war eben vorher noch nicht 100-prozentig sicher. Einerseits behaupten selbst ernannte Branchen-Experten immer wieder, dass das ganze Smartwatch Thema eine Blase sei, die sich mit der Einführung der Apple Watch vergrößert hätte und ausschließlich vom Unternehmen aus Cupertino abhängig wäre. Dass die Apple Watch sicher eines der Vorzeige-Objekte in dieser Branche ist, stimmt ohne großen Zweifel. Dass der Markt aber monopolistisch strukturiert sei, ist eine haltlose Behauptung. Innerhalb von 12 Monaten (seit Erscheinen der Apple Watch) haben es Hersteller wie Samsung (Gear S2), Motorola (Moto 360 2), LG (LG Watch Urbane) oder Pebble (Pebble Time) geschafft, ein ordentliches Stück Kuchen vom Smartwatch Markt zu ergattern. In naher Zukunft könnte sich das Kräfteverhältnis sogar umkehren, wenn die Samsung Gear S3 auf der diesjährigen IFA präsentiert wird und direkt gegen die im Herbst 2016 erscheinende Apple Watch 2 antritt.
Hätte mich jemand spontan auf der Straße gefragt, wie hoch ich das prozentuale Interesse an Smartwatches in der deutschen Bevölkerung einschätze, hätte ich wahrscheinlich mit „ca. 30 Prozent“ geantwortet. Daher bin auch ich über die in der BITKOM Studie genannten 46 Prozent positiv überrascht. Für mich war schon recht früh klar, dass das Thema nicht in der Nische verschwinden wird und einen Markt mit 3 bis 7 Prozent Interessenten bildet. Erster und wichtigster Grund dafür ist schlichtweg, dass es sich auch bei einer Smartwatch um eine Uhr handelt. Und eine Armbanduhr trägt gefühlt Jedermann. Armbanduhren sind Mode- und Prestigeobjekte und stilvolle Accessoires zur richtigen Kleidung, Stimmung und Gelegenheit. Dass das Thema Smartwatch also ein größeres Publikum anspricht als Drohnen oder VR-Brillen, liegt auf der Hand. Mit meinen geschätzten 30 Prozent Interesse wäre die Smartwatch also kein Nischenprodukt, mit den erhobenen 46 Prozent wird sie zum Massenprodukt.
Schaut man sich an, zu welchen Zwecken die Deutschen eine Smartwatch nutzen möchten, wird relativ schnell klar, dass es noch viel Aufklärungsbedarf gibt. Vollwertige Smartwatches können viel mehr als Schritte zählen und Benachrichtigungen empfangen. Wüsste die Bevölkerung das, wären die Ergebnisse der BITKOM Studie sicher anders ausgefallen. Und außerdem ist es ja doch sehr merkwürdig, dass keiner der Befragten das Anzeigen der Uhrzeit mit unterschiedlichen Watchfaces nennt.
Immerhin legt knapp ein Viertel der User auf Funktionen wert, die komplexer sind als Activity-Tracking. Der Gesundheitsaspekt spielt trotzdem eine wichtige Rolle. Auch wenn ich persönlich die Pulsmesser-Funktion recht selten nutze, ist sie ein relevantes Kriterium für die Befragten. Bedeutet im Umkehrschluss, dass Hersteller endlich an sinnvollen Auswertungen der Herzfrequenz arbeiten müssen. User wünschen sich, bei zu hohen oder zu niedrigen Herzfrequenzen von der Smartwatch gewarnt zu werden. Eine Funktion, die noch keine android wear Smartwatch anständig beherrscht. Man müsste sogar einen Schritt weiter gehen und bei gesundheitlichen Alarmsignalen sofort Lösungsansätze bieten. Zum Beispiel ein Anruf in der Notrufzentrale mit einem Knopfdruck oder Atemübungen um den Puls zu normalisieren. Spezialisierte Fitnessuhren können das bereits, aber eben nicht die große Masse an Smartwatches.
Das Thema GPS wird auch immer wichtiger. Zwar möchte nur knapp ein Viertel der Befragten die Smartwatch zu Navigationszwecken nutzen, das könnte aber vor allem daran liegen, dass die meisten User sich nicht vorstellen können, sich über den kleinen Bildschirm navigieren zu lassen. Wer jedoch schon einmal eine Smartwatch mit GPS-Modul wie z.B. die LG Watch Urbane 2nd Edition genutzt hat, weiß wie praktisch es sein kann, sich über Google Maps zum Ziel führen zu lassen. Vor allem bei Städtereisen ist das ein großer Vorteil, wenn man viel zu Fuß unterwegs ist und nicht ständig das Smartphone zu Navigation aus der Tasche holen möchte. Hier ergibt sich aber wieder das gleiche Problem wie bei den Gesundheitsfunktionen: Die Hersteller kommunizieren die Benefits nicht klar genug. Da muss ein „GPS-Modul“ in der Specs-Liste ausreichen, um den Verbraucher aufzuklären. Doch wer sich nicht tagtäglich mit Smartwatches beschäftigt, möchte sehen und sich davon überzeugen können, wie eine Wegenavigation am Handgelenk funktioniert.
Bleibt also noch Preis und Design. Ich kann die Argumentation verstehen, wenn jemand zu mir sagt, dass ihm eine 400-Euro-Smartwatch zu teuer ist. Es ist immerhin ein technisches Gerät mit einer gewissen Halbwertszeit und überall wo Technik drin steckt, kann auch etwas kaputt gehen. Nicht wie bei einer Rolex, die seit Jahrzehnten gleich gefertigt wird und nicht an Aktualität und Wert verliert. Dem entgegne ich dann meist: Aber für ein Smartphone seid ihr bereit, 700-1000 Euro auszugeben – jedes Jahr. In kaum einem Bereich ist es so selbstverständlich, so viel Geld immer und immer wieder auszugeben, wie im Bereich der Smartphones. Und ja, wer das Smartphone monatlich über seinen Mobilfunkvertrag abbezahlt, hat am Ende der Laufzeit auch 700 Euro ausgegeben. Eine Smartwatch ist hingegen eine Uhr – oder wird optisch immer mehr zu einer. Das haben Hersteller durch die Bank verstanden: Eine Smartwatch muss schön sein. Hochwertig. Zeitlos. Und ja, auch innovativ. Wer heute z.B. eine LG Watch Urbane 2nd Edition oder die bald erscheinende Pebble Time 2 kauft, kann diese mindestens 3-4 Jahre tragen. Die Support-Zyklen für Smartwatches sind noch lang. Beispielsweise ist die LG G Watch, die erste Smartwatch mit android wear, bereits fast vier Jahre alt. Updates erhält sie dennoch, bis Ende diesen Jahres. Performance-seitig sind die meisten Smartwatches schon so ausgereift, dass selbst komplexe Aktualisierungen problemfrei laufen.
Dass die Hersteller sich hinsichtlich ihrer Designs in die richtige Richtung bewegen, untermauert auch die Anzahl der Befragten, die die aktuellen Smartwatches nicht schön finden. Diese liegt nur noch bei 17 Prozent. Um weiter in den Mainstream vorzudringen, ist aber eine noch größere Zielgruppendiversifizierung nötig. Beispielsweise gibt es keine echten Konkurrenten für die sehr erfolgreiche Tag Heuer Connected, die mit edelsten Materialien (Titan, Saphir) verarbeitet ist und 1.350 Euro kostet. Hier müssten weitere Luxusuhrenhersteller auf den Plan treten und sich für Smartwatches committen. Denn wenn das Thema erst einmal in der Schweizer Uhrenlobby akzeptiert ist, öffnen sich ganz neue Felder, sowohl was Umsätze angeht, als auch Platzierungsmöglichkeiten. Derzeit würde „Moto 360 2 – official timekeeper of the US Open“ noch recht albern klingen.
Das Fazit der BITKOM Studie: Der Beweis, den alle Kritiker fürchten
Die BITKOM Smartwatch Studie ist deshalb so wichtig, weil endlich ein deutsches Unternehmen repräsentative Daten für den deutschen Markt erhoben hat. Das hat zwei Effekte: Erstens wissen Hersteller wie LG, Lenovo oder Samsung nun, welches Potential im deutschen Smartwatch Markt liegt. Sie werden es dazu nutzen, ihre Produkt- und Distributionspolitik anzupassen und Deutschland als den relevantesten Markt Europas für Smartwatches wahrzunehmen (bis zum Brexit war das übrigens Großbritannien).
Der zweite Effekt trifft die Kritiker, die vehement behaupten, dass Smartwatches keine Zukunft hätten, nur weil Apple seine Watch-Zahlen nicht offiziell preisgeben will oder irgendein zweifelhaftes asiatisches Marktforschungsinstitut wieder eine beängstigende Studie mit rückläufigen Absatzzahlen auf den Markt geworfen hat, um schnell an Klicks zu kommen.
Die Smartwatch wird in den kommenden 3-4 Jahren in der Mitte der Gesellschaft ankommen und für die Mehrheit der Deutschen eine echte Kaufalternative zur klassischen Armbanduhr sein. Mit 46 Prozent Interessierten für das Thema laut BITKOM Studie, sind wir nicht mehr weit davon entfernt. Das haben auch die Hersteller erkannt und verstärken ihre Bemühungen merklich. Auf der IFA, die in zwei Wochen beginnt, präsentieren Lenovo (Motorola), Samsung und ASUS neue Flaggschiff-Smartwatches, die wahrscheinlich zum Weihnachtsgeschäft bereitstehen. Apropos Weihnachtsgeschäft: Nach der BITKOM Studie wird „die Season“ das nächste Ereignis, das Kritiker verstummen lässt.